Nach drei Verhandlungstagen wurde am heutigen Freitag ein Verfahren gegen zwei Aktivist:innen gegen eine Geldzahlung eingestellt. Im Rahmen einer AfD-Gegendemonstration 2019 wurden ihnen mehrere Straftaten zur Last gelegt. Die Aussagen beteiligter Polizisten werfen allerdings Fragen auf. Der Prozess stellt auch die Strategie des Polizeieinsatzes in Frage.

Am Tag vor der Landtagswahl in Thüringen hält die extrem rechte AfD die letzte Wahlkampfveranstaltung am 26. Oktober 2019 in Erfurt ab. Ein Demonstrationsteilnehmer trägt unter anderem eine Kette mit Hakenkreuz, die Stimmung ist teils aufgeheizt. Gegen die AfD-Veranstaltung mobilisiert zugleich ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen zu einer Gegendemonstration. Mehrere hundert Menschen folgen dem Aufruf.
Als die Gegendemonstration aufgelöst ist und sich viele Teilnehmende auf den Rückweg begeben, beginnt die Polizei scheinbar wahllos Menschen aus kleinen Gruppen heraus zu ziehen. In der Dämmerung entsteht kurzzeitig Chaos, es kommt zu einer Rangelei zwischen Polizist:innen und Antifaschist:innen. Ein Polizist zieht sich eine Verletzung am Finger zu.
Vor Gericht mussten sich deshalb zwei Angeklagte wegen vollendeter Gefangenenbefreiung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährliche Körperverletzung verantworten. So haben die Angeklagten eine weitere Person aus dem Griff des Polizisten befreit, wodurch die Verletzung am Finger entstanden sei.
Im Allgemeinen gestaltet sich die Beweisführung schwer. „Grundsätzlich können Polizeibeamt:innen schon beim Formulieren der Berichte festlegen, welche Beamt:innen sie erwähnen, die dann als potenzielle Zeug:innen im Vorfeld feststehen. Das hat sich auch in diesem Prozess gezeigt”, so die Verteidigerin Kristin Pietrzyk. Die Aktenlage war uneindeutig, es mussten mehrere Polizisten der Thüringer Bereitschaftspolizei aussagen, die damals ebenfalls im Einsatz waren. Vor Gericht konnten sie die Angeklagten allerdings nicht zweifelsfrei identifizieren und beriefen sich immer wieder auf Erinnerungslücken.
Zudem warfen einzelne Aussagen des verletzten Polizisten, der im Prozess als Nebenkläger auftritt, Fragen auf. So habe er noch am Abend des Einsatzes im Krankenhaus die vollständigen Namen der Angeklagten erhalten. Von wem er die Informationen bekommen hat und auf welchem Weg, bleibt offen. Zu diesem Zeitpunkt war er jedoch dienstunfähig: Er hätte in dieser Zeit keinen Einblick in interne Ermittlungsunterlagen erhalten dürfen – auch nicht in das Videomaterial, das die Polizei von der Veranstaltung anfertigte. Einsehen konnte er es außerdienstlich trotzdem.
Fragwürdige Einsatzstrategie
Im Prozess geht es aber auch um die teils eskalative Einsatzstrategie der Polizei, zu diesem Zeitpunkt war unklar, warum Menschen scheinbar wahllos am Erfurter Hauptbahnhof festgesetzt wurden. Die Polizei rechtfertigte den Einsatz mit der Vermummung einzelner Personen während der Demonstration. Vor Gericht sagte ein Polizist und Kollege des Nebenklägers aus, es habe keine ansonsten übliche Ansprache gegenüber den Versammlungsteilnehmenden gegeben, weil man aufgrund von Erfahrungswerten dadurch Aggressionen vermeiden wollte.
Eine Aktivistin, die an dem Abend ebenfalls vor Ort war, widerspricht der Darstellung. Niemand habe gewusst, warum die Polizei Menschen festsetzen würde und so sei unter den Teilnehmenden Chaos ausgebrochen und es sei zu Handgreiflichkeiten gekommen. „Hätte die Polizei eine Ansprache gemacht, hätten wir mit den betroffenen Personen sprechen und die Situation entspannt klären können.“, erklärt sie demo.report. Auch das Bündnis „Auf die Plätze“ kritisiert in einer Stellungnahme den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz. So sei es bereits während der Kundgebung zu einzelnen Festnahmen, Einsatz von Schlagstöcken, Schmerzgriffen und Beleidigungen durch Polizeibeamte gekommen. Die Einsatzleitung der Polizei sei zudem für die Anmelder:innen der Demonstration teilweise gar nicht zu erreichen gewesen.
Auch die Rote Hilfe, die beide Angeklagten in der Verhandlung unterstützt, spricht von einem „martialischen Polizeieinsatz“ und Repressionen gegen Demonstrierende aufgrund ihres antifaschistischen Engagements. Währenddessen zeigten sich vor und im Gericht viele Unterstützer:innen solidarisch mit den Angeklagten.