Am Montag startete die Neuauflage des sogenannten Ballstädt-Verfahrens. Im Vorfeld gab es Gespräche zwischen der Staatsanwaltschaft und den Angeklagten, die nun mit Bewährungsstrafen davonkommen könnten.


Micheal Weiland
Journalist @demo.report

Lilian Rist
Journalistin @demo.report
Ein Großteil der elf Angeklagten betritt den provisorischen Gerichtssaal am Montag als freie Menschen. Sie waren unter den 15 Neonazis, die im Februar 2014 eine Kirmesgesellschaft im Thüringischen Ballstädt brutal überfielen. Dabei schlugen sie mehrere Menschen bewusstlos, rund zehn von ihnen wurden teils schwer verletzt. Mehrere erlitten Schädel-Hirn-Traumata.
Nachdem die TäterInnen 2017 bereits erfolglos verurteilt wurden, beginnt der Prozess gegen sie nun von vorne. Aufgrund der Pandemie und des großen Medieninteresses jedoch nicht wie damals vor dem Landgericht Erfurt, sondern in der Erfurter Messe.
Wie damals sind die TäterInnen auch heute noch in der Thüringer Nazi-Szene aktiv – unter anderem in der Neonazi-Gruppierung „Turonen/Garde 20“. Sie veranstalteten eine Vielzahl von Rechtsrockkonzerten in Thüringen und pflegen gute Verbindungen zu den mittlerweile verbotenen rechtsterroristischen Netzwerken „Blood & Honour“ und „Combat 18“.
Bereits 2017 verurteilte das Landgericht elf der 15 Angeklagten nach einem eineinhalbjährigen Prozess zu mehrjährigen Haftstrafen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnten.
Der Hauptangeklagte und Kopf der Turonen, Thomas W., wurde damals gemeinsam mit Marcus R., der enge Verbindungen zu „Combat 18“ pflegt, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die anderen Angeklagten wurden jeweils zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten angeklagt, eine Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Vier wurden frei gesprochen. Sie sind von dem erneuten Prozess nicht betroffen.
Der Rest legte 2017 gegen die Entscheidung Revision ein. Drei Jahre später hob der Bundesgerichtshof das Urteil aufgrund von Formfehlern auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung ans Landgericht Erfurt zurück. Nur drei der Beschuldigten sind nicht auf freiem Fuß. Die Angeklagten Thomas W., André K. und Rocco B. sitzen seit Februar aufgrund eines weiteren Ermittlungsverfahrens in Untersuchungshaft. Ihnen und 16 weiteren Beschuldigten aus dem Umfeld der Turonen wirft die Staatsanwaltschaft Gera Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel vor. Am Montag betraten sie den Saal der Messe Erfurt in Fußfesseln.
Insgesamt 22 Rechtsanwält:innen umfasst die Strafverteidigung, darunter bekannte Szeneanwälte. Drei der Strafverteidiger vertraten bereits die Angeklagten im Verfahren um die rechte Hooligan-Gruppierung „Jungsturm“ des FC Rot-Weiss Erfurt. Ein anderer ist der Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann, Chef der rechtsextremen Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ und bereits wegen Volksverhetzung verurteilt. Im Prozess vertritt er den Angeklagten Christian H. Dieser wurde während der ersten Verhandlungen 2017 von Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt vertreten, der mittlerweile selbst in Untersuchungshaft sitzt. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Gera vor, den Beschuldigten um Thomas W., André K. und Rocco B. bei der Geldwäsche geholfen zu haben.
Schon der Beginn des Prozesses war von Entrüstung über das Verhalten der Staatsanwaltschaft Erfurt geprägt. Sie hatte den Angeklagten in Gesprächen im Vorfeld Deals in Aussicht gestellt: Sollten sie ein Geständnis abgeben, würde das Gericht sie zu Bewährungsstrafen von höchstens einem Jahr verurteilen. In diesem Zusammenhang soll die Staatsanwaltschaft von einem „Schlussstrich“ gesprochen haben. Auch die lange Verfahrensdauer spielt den Angeklagten in die Hände. Zum einen wirkt sie sich strafmildernd aus, zum anderen erschwert sie die Anklage, denn die Angeklagten können sich auf einen Gedächtnisverlust berufen.
Am Montag bot die Richterin dann allen Angeklagten diese Deals an. Bis auf die Angeklagten Ariane S. und Tim H., deren Verteidiger:innen eine Einstellung des Verfahrens forderten, stimmten alle Angeklagten zu. Drei ließen ihr Geständnis bereits durch ihre Verteidiger:innen verlesen. Dabei räumten sie lediglich ihre Tatbeteiligung ein, zum Tathergang wollten sie sich nicht äußern und auch keine Rückfragen beantworten.
Protest von der Nebenklage
Die Nebenklageanwält:innen, die die Betroffenen des Angriffs vertreten, wollen die angebotenen Deals nicht hinnehmen. Vor allem bezüglich des Trios aus Thomas W., André K. und Rocco B. sei unverständlich, wie eine solche Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagten zustande kommen könne, seien doch gerade diese drei aktuell wegen schwerwiegender Vorwürfe erneut in Untersuchungshaft. Seit 2019 sei Marcus R. bereits 19 Mal strafrechtlich auffällig geworden, so die Nebenklageanwält:innen. Das milde Strafmaß sei eine „Einladung an die Angeklagten“, dass sie genau so weitermachen könnten wie zuvor.
Im Fall von Thomas W. und Marcus R., die 2017 die längsten Haftstrafen erhielten, stellten die Nebenklagevertreter:innen zudem Befangenheitsanträge gegen die Richter:innen und die restliche Kammer. Bewährungsstrafen seien hier besonders unverständlich, das Strafmaß wirke willkürlich. Man könne davon ausgehen, dass die Kammer eine „innere Haltung“ angenommen habe, welche die Unabhängigkeit gefährden könne. Ein derartiger Antrag von Seiten der Nebenklage ist zwar nicht unüblich, könnte aber dazu führen, dass die Kammermitglieder ausgewechselt werden.
„Keine Deals mit Nazis!“ fordern deswegen auch Unterstützer:innen der Opfer des Überfalls am Montag bei einer Solidaritätskundgebung mit den Betroffenen vor der Erfurter Messe. Bereits vor einigen Wochen hatten die „Omas gegen Rechts“ eine gleichnamige Petition gestartet und dem Thüringer Justizminister Dirk Adams knapp 45.000 Unterschriften übergeben. Die TäterInnen hätten den Tod in Kauf genommen. Es sei absolut unverständlich, dass sie damit überhaupt noch auf freiem Fuß sein könnten, erklärt eine der Betroffenen des Angriffs über die Betroffenenberatungsstelle ezra.
Vorerst sind noch zehn weitere Verhandlungstage bis Juli anberaumt. Am Mittwoch sollen die restlichen Geständnisse abgegeben werden. Ob es den befürchteten Deal mit Nazis gibt, bleibt abzuwarten.