Ende Gelände 2020: Orangener Finger

Mittlerweile sind die Klimaaktivist:innen von “Ende Gelände” vielen Menschen ein Begriff. Ihre Aktionen sind ziviler Ungehorsam. Auch am 27. September wollten Aktivist:innen in dem Braunkohlerevier nahe Köln mit effektiven Blockaden Druck auf die Politik und den Energiekonzern RWE machen.

Ende Gelände Aktivist:innen 2020
Aktivist:innen von Ende Gelände kurz vor Beginn der Aktion. Foto: Michael Weiland
Micheal Weiland

Micheal Weiland

Journalist @demo.report

Noah Berendt

Noah Berendt

Journalist @demo.report

Der Acker ist durch den Regen aufgeweicht, vor den zahlreichen Zelten haben sich Schlammpfützen gebildet. Auf den ersten Blick erinnert das Erscheinungsbild an ein verregnetes Festival. Nicht aber in Zeiten der Covid19-Pandemie und auch nicht für die Klimaaktivist:innen von „Ende Gelände“. Wenn sie nicht die Dringlichkeit sehen würden, hier sein zu müssen, würde auf diesem Acker nahe dem Dorf Lützerath an diesem Wochenende auch niemand zelten. Das Dorf Lützerath wirkt leer. Fast wie eine Geisterstadt und so leer wie es wirkt, ist es auch. Nagelbretter vor den Fenstern, eine verlorene Bushaltestelle und ein zerbrochenes Fenster, aus dem eine Gardine weht, um die sich hier niemand mehr kümmert. Nur noch ein paar Menschen leben hier. Wenn es nach dem Energiekonzert RWE geht, allerdings nicht mehr lange. Nur wenige Meter weiter klafft ein gigantisches Loch. Riesige Bagger holen dort Unmengen an Kohle aus dem Boden. Wer dort hinunter blickt, sieht eine karge Wüste. So werden aller Wahrscheinlichkeit auch bald die Dörfer drumherum wie Lützerath aussehen. Sie fallen der Kohleindustrie zum Opfer. 

Die Polizei setzte die Aktivistinnen acht Stunden fest. Grund war ein Durchbruchversuch der Aktivist:innen. Zwar nicht erfolgreich, aber alles in allem sind sie doch zufrieden. Viele von ihnen werden wohl nächstes Jahr wiederkommen. Drei von ihnen haben vor der Aktion und währenddessen erzählt, was sie antreibt und wie sie die diesjährige Aktion erleben:

Das Camp in Lützerath ist an diesem Wochenende nur eines von vielen. Der orangene Finger zeltet und startet von hier, während sich der grüne, goldene oder lila Finger aus anderen Regionen Nordrhein-Westphalens auf den Weg machen. „Finger“ gehören zur Strategie des zivilen Ungehorsams der Klimaaktivist:innen. Jeder Finger hat ein Blockadeziel und ist von den jeweils anderen Fingern unabhängig. Gerade das macht es der Polizei schwierig, diese aufzuhalten, denn keiner der Finger kündigt im Vorfeld seine Route oder gar sein Ziel an.

Der orangene Finger erreicht sein Ziel, den Tagebau, an diesem Tag nicht, sorgt allerdings für Unruhe bei den Polizeieinheiten und kann nur mit einer Reiterstaffel im angrenzenden Dorf Keyenberg gestoppt werden. „Obwohl wir stehen geblieben sind, ist die Polizei mit den Pferden teilweise in uns reingeritten und hat uns angeschrien, dass wir zurück gehen sollten, aber wie, wenn hinter uns 200 Menschen stehen“, erzählt ein Aktivist aus den ersten Reihen demo.report, „dann haben sie Pfefferspray gegen uns eingesetzt und auch die Pferde haben etwas abbekommen.“
Ein Pferd scheute. Es riss in der Folge einen Stacheldrahtzaun mit sich, der das Pferd und auch Journalist:innen verletzte. Zwei Jouranlist:innen wurden vom Polizeipferd überrannt und teils schwer verletzt. Die Journalistin Manuela Bechert musste in einem Krankenhaus wegen eines Rippenbruchs behandelt werden. Sie sprach in einem Video von „massiver Polizeigewalt“ und sie sei „gezielt gepfeffert worden“, obwohl sie ihren Presseausweis sichtbar für die Beamt:innen getragen hat. Auf Nachfrage von demo.report bei der zuständigen Polizei in Aachen, teilte uns diese am 28. August mit: „Eine medizinische Betreuung wurde allen Verletzten vor Ort umgehend angeboten, jedoch abgelehnt.“ Die Journalistin verneint diese Darstellung. Ihr habe niemand Hilfe angeboten. Auch wir von demo.report können das bestätigen. Ein Journalist von uns wurde ebenfalls von dem Stacheldraht getroffen. Auf die Frage, warum das Pferd trotz tiefer Einschnitte weiter eingesetzt wurde, bekamen wir keine Antwort.
Vor der Eingangstür hatte sich eine Kirchengemeinde versammelt, um die Aktivist:innen zu unterstützen. Teilweise kam es zu skurrilen Bildern. Etwa als die Gemeinde, von der Polizei in zwei Gruppen getrennt, einen Gottesdienst abhielt.
Obwohl die Aktion des orangenen Fingers am Samstag für beendet erklärt wurden, ist ein Ende der Proteste von Ende Gelände noch lange nicht in Sicht. Klimaaktivist:innen versicherten uns, dass sie auch bei den nächsten Aktionen dabei sein würden. Sie hätten Kraft aus der Aktion geschöpft, gerade weil trotz der schwierigen Situation in der Pandemie so viele Aktivist:innen dabei waren. Zumindest an diesem Wochenende ist das soziale Leben zurück in die Dörfer gekommen. Wenn es nach den Aktivist:innen geht, nicht das letzte Mal. Aber auch, wenn sie die Dörfer an der Abbruchkante vorerst wohl nicht retten können, so dürfte die Erinnerung an sie noch ein wenig länger in den Köpfen der Klimaaktivist:innen erhalten bleiben.

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