Erfurter:innen zeigen Gesicht: Wie die Coronaproteste von rechts vereinnahmt sind

Am heutigen Samstag fand in Erfurt wieder eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen statt. Zwischen rechten und verschwörungsideologischen Szenegrößen waren auch Rechtsextreme als Ordner eingebunden. Mittlerweile ist das mobilisierende Bündnis zu einem Sammelbecken rechter Akteur:innen geworden. Wie konnte es soweit kommen und wer ist für diese Entwicklung verantwortlich?

Der Ex-AfDler Heinrich Fiechtner auf der Demonstration am 23. Januar in Erfurt. Foto: Michael Weiland
Micheal Weiland

Micheal Weiland

Journalist @demo.report

Ein NPDler, der als Ordner fungiert, eine Homöopathin, die falsche Atteste ausgestellt hat, ein Ex-AfDler und eine vielzahl rechter Gruppen, die heute nach Erfurt mobilisiert haben, um gegen die Anti-Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Über knapp ein Jahr hat sich diese Sammelbewegung gegründet. Schon die Anfänge ließen darauf hindeuten. Denn seit Monaten organisieren sich teils dutzende, teils hunderte Menschen auf Versammlungen in der Thüringer Landeshauptstadt: Zuerst auf als Spaziergängen getarnten Demonstrationszügen durch die Innenstadt, dann mit Reichsfahnen auf dem Domplatz. Anlass der Proteste sind die beschlossenen Coronamaßnahmen der Politik, in Teilen aber auch die grundlegende Ablehnung der Landes- und Bundesregierung. Zuletzt bemühte sich das Bündnis „Thüringen steht zusammen” um ein gemäßigtes Auftreten. 

Aber bereits die zweite angekündigte Versammlung des Bündnisses endete trotz Verbot chaotisch: Teilnehmende schlossen sich gegen die Polizei zusammen und versuchten, Polizeisperren zu durchbrechen. Am Ende wurden gegen Hunderte Ordnungswidrigkeitsverfahren aufgenommen. Die Besucher:innen derartiger Veranstaltungen im Freistaat äußerten immer wieder strukturellen und klassischen Antisemitismus, der Anschluss an die Erzählungen des sehr rechten Randes fand. Überraschend ist dies nicht, werden diese Proteste nämlich nicht etwa von einer überparteilichen Bürgerbewegung oder Vertreter:innen einer gebeutelten Veranstaltungsbranche organisiert, sondern von teils jahrelang organisierten Personen aus rechten Spektren.

Bereits im Frühjahr  letzten Jahres fielen Aufrufe zum „gemeinsamen Eis essen” auf: Interessant war dabei nicht die schnell durchschaubare Strategie, um sich unangemeldet zu versammeln, sondern maßgeblich die Rolle des islamophoben Zusammenschluss „Erfurt zeigt Gesicht” bei der Mobilisierung. In ihrer Telegram-Gruppe wurden die Termine der regelmäßig stattfindenden Aufzüge stets zuerst veröffentlicht, auch wenn die Gruppe selbst jegliche Verantwortung für die Veranstaltungen von sich wies. Dennoch inszenierten sie die Proteste in Livestreams und Videos.

Die Polizei ist überfordert

Die Streams zeigten eine  teilweise überforderte Polizei, die hunderte Menschen unbegleitet durch die Stadt ziehen ließ und suggerierte den Protestierenden eine Teilnahme, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Regelmäßig liefen dutzende, teils hunderte Menschen unangemeldet und unter vielfacher Missachtung geltender Hygieneregeln auf verschiedenen Routen durch Erfurt. Die Zurückhaltung der teils deutlich unterbesetzten Polizei beflügelte die Bewegung in ihrer Anfangsphase. Anwesenden Journalist:innen riet die Polizei hingegen, sich aus Sicherheitsgründen zurückzuziehen.

Bekannte aus der rechten Szene

Die AkteurInnen aus dem „Erfurt zeigt Gesicht”‘-Umfeld sind dabei keine Unbekannten: So nahmen Mitglieder bereits Seite an Seite mit NPD– und ‚ThügIDA‘-Kadern an Kundgebungen teil und waren regelmäßige Gäste von AfD-Veranstaltungen und unterstützten diese im Wahlkampf.

Die beiden leitenden Mitglieder von „Erfurt zeigt Gesicht” Ina B. und Marco M. fallen auch durch ihr freundschaftliches Verhältnis zu bekannten AkteurInnen des sehr rechten Spektrums wie  Michael Stürzenberger auf, der vom bayerischen Verfassungsschutz als ‚‚zentrale Figur einer islamfeindlichen Szene‘‘ eingeordnet wird. „Erfurt zeigt Gesicht” organisierte in der Vergangenheit immer wieder Proteste gegen einen Moscheebau im Erfurter Ortsteil Marbach mit, bei der auch rechtsextreme Gruppen wie die „Identitäre Bewegung” und der Förderverein „Ein Prozent” auftauchten. Abseits ihrer Termine wird von einem „ThügIDA”-Kader mal eine Scheinhinrichtung auf dem Fischmarkt inszeniert, mal werden durch Unbekannte Teile von Schweinekadavern auf der Baustelle des entstehenden muslimischen Gebetshauses verteilt. Spätestens ab Sommer waren auch Mitglieder der mittlerweile aufgelösten neonazistischen Erfurter Kleinstpartei „Der Dritte Weg” auf den Veranstaltungen zugegen.

Ab Mai übernahm Enrico Krause, ein ehemaliger Funktionär der Partei „Die Rechte”, die Organisation der Anti-Corona-Proteste, auf denen nun immer mehr Reichsfahnen und -symbole auftauchen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte niemand der Teilnehmenden den politischen Charakter der Versammlungen leugnen. Ab August übernahm die Lokalgruppe „Querdenken 361” die Veranstaltungen und Krause zog sich aus der Öffentlichkeit größtenteils zurück. Er fiel lediglich nochmal auf als er als Ordner auf einer Neonazi-Demonstration auftritt. 

„Deshalb wäre für mich der Strick oder gerne auch wahlweise die Guillotine das geeignete Mittel der Wahl... Gute Nacht & bis demnächst..."

Volker K., ehemaliger Kandidat der AfD für die Stadtratswahl

Spätestens das verstärkte Auftreten von AfD-Politiker:innen wie dem mittlerweile verstorbenen Erfurter Stadtratsmitglied Klaus-Dieter Kobold und deren Anhänger:innen machte den rechtsoffenen Charakter der Veranstaltungen deutlich. Auch gewaltverherrlichende und antisemitische Aussagen wurden geduldet. So rückte sich ein Busunternehmer mehrfach in die Nähe der jüdischen Bevölkerung im „Dritten Reich” und forderte, Läden mit Maskenpflicht im Stil der deutschen Judenverfolgung zu markieren. Auch ein ehemaliger Kandidat der AfD für den Erfurter Stadtrat äußert sich in dem Chat mit Hinrichtungfanatasien. Er wolle die “links-grünen Kinderf_cker” am liebsten mit dem “Strick oder gerne auch wahlweise der Guillotine” aburteilen.

Ein Busunternehmer relativiert den Nationalsozialismus in einem öffentlichen Telegram-Chat. Quelle: Telegram
Der ehemalige Kandidat der AfD für den Erfurter Stadtrat äußert in einem öffentlichen Chat Hinrichtungsfantasien. Quelle: Telegram

Eingliederung in das „Querdenken”-Netzwerk

Alsbald übernahm die Lokalgruppe „Querdenken 361″ die Organisation der Veranstaltungen und gliederte sich damit in das bundesweite „Querdenken”-Netzwerk um Michael Ballweg ein. Das engere Umfeld der Erfurter Ortsgruppe ist auch bei ähnlichen Veranstaltungen im nordthüringischen Heilbad Heiligenstadt dabei. Auch der ehemalige Kandidat der AfD für die Stadtratswahl ist wiederholt, teils mit der ganzen Familie, dabei. Er traf sich darüber hinaus in der Vergangenheit mit Reichsbürger:innen auf wiederkehrenden Treffen an einer Eichsfelder Landstraße

„Querdenken 361” auf bundesweiten Demos vertreten

Trotz sinkender Teilnehmendenzahlen, betreiben die verbliebenen Aktiven aus Erfurt einen bemerkenswerten organisatorischen Aufwand, um beispielsweise gemeinsam Demonstrationen zu organisieren oder zu besuchen. Sie können dabei auf die Unterstützung von Unternehmer:innen aus der Logistik- und Busbranche zurückgreifen. In Berlin stellten sie sogar einen eigenen LKW mit wehenden Reichs- und Landesfahnen. Auch auf den Demonstrationen in Leipzig, für die bundesweit mobilisiert wurde, mischen einige Erfurter:innen Seite an Seite neben organisierten Neonazis und Hooligans mit. 

Schluss mit der Polarisierung?

Mittlerweile ist die Lokalgruppe um „Querdenken 361” nicht mehr präsent. Die Akteur:innen haben sich zusammen mit anderen Gruppen in einem neuen Bündnis namens „Thüringen steht zusammen” organisiert. Die Gruppe möchte vor allem einen gemäßigten Eindruck vermitteln, indem sie familienfreundliche Veranstaltungen mit Kerzen organisiert.  Moderiert wurde die erste Veranstaltung am 28. November von Ina B. von „Erfurt zeigt Gesicht”. Einigen Anwesenden war der neue Charakter allerdings zu lasch. Sie bedauerten in Chat-Gruppen den Abend als vertane Chance, sich erneut unangemeldet die Straße zu nehmen.

Der Anmelder Stefan Hampel am 28 November auf dem Domplatz. Foto: Michael Weiland

Demonstration endet mit 300 Ordnungswidrig-keitsverfahren

Die zweite Veranstaltung am 12. Dezember 2020 verlief dagegen völlig anders: Trotz des mehrfach gerichtlich bestätigten Verbotes für die Versammlung hielt unter anderem Stefan Hampel an der Mobilisierung eines nun monatelang radikalisierten Klientels für die Veranstaltung fest, welche dann vom als Stargast geladenen Ex-AfDler Heinrich Fiechtner eröffnet wurde. Das anschließende Eingreifen der Polizei führte zu tumultartigen Szenen, für die bereits im Vorhinein die Stadt Erfurt verantwortlich gemacht werden sollte. Dabei wurden zu Anfang Polizeibeamt:innen über den Domplatz gedrängt und hatten Mühe, ihre Kolleg:innen bei Gewahrsamnahmen abzusichern. Teilnehmende, die diese anfängliche Überrumpelung der Beamt:innen für eine Chance hielten, gaben sich später größtenteils überrascht, als man sie nach mehrfacher Aufforderung nicht weiter gewähren ließ und gegen über 300 von Ihnen aus einer Kesselsituation heraus Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurden. Auch die unzulässige Bewerbung der verbotenen Versammlung wird, so eine Polizeisprecherin, zumindest für Stefan Hampel, welcher mittlerweile beim Thema Chemtrails angekommen ist, rechtliche Konsequenzen haben. Auf eine schriftliche Anfrage von demo.report äußerte sich Hampel noch nicht.

Mobilisierungserfolge bleiben aus

Im neuen Jahr gelangen, trotz der zurückliegenden Feiertage mit den umfangreichen Einschränkungen, keine nennenswerten Mobilmachungen. Kleinere Ansammlungen wurden von der Polizei unterbunden und einige Personen wichen auf Veranstaltungen im Erfurter Umland, wie zum Beispiel Weimar, aus.

Die Effektivität der Mobilisierung für eine weitere Kundgebung am heutigen Samstag war ungewiss. Zwar sind einige hundert Menschen dem Aufruf gefolgt, zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es allerdings nicht. Mobilisiert hatte die Thüringer AfD, aber auch der Eisenacher NPD-Lokalpolitiker Patrick David Wieschke. Mitglieder aus dem Umfeld von Wieschke griffen in Berlin auf „Anti-Corona-Protesten” bereits die Polizei an. Eine Distanzierung zur extremen Rechten ist von dem Bündnis indessen unwahrscheinlich. Dies würde, mit Blick auf das vergangene Jahr, auch überraschen.

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