Endstation Lagerhalle: Erneute Räumungsklage für Erfurter Neonazis

Die rechtsextreme Gruppierung „Neue Stärke Partei“ (NSP) hat sich in einem Lagerhallenkomplex im Erfurter Norden eingemietet. Weil das Mietverhältnis gekündigt wurde und die Gruppe nicht auszieht, hat der Vermieter eine Räumungsklage eingereicht. Nachdem ihr Objekt auf dem Erfurter Herrenberg bereits letztes Jahr geräumt wurde, verliert die „Neue Stärke Partei” nun die nächste Immobilie. 

Demonstration Neue Stärke Erfurt
Demonstration der "Neuen Stärke" im Oktober 2020 in Erfurt. Quelle: Michael Weiland
Lilian Rist

Lilian Rist

Journalistin @demo.report

Noah Berendt

Noah Berendt

Journalist @demo.report

Hinter den grauen und orangenen Toren verbergen sich mal Wohnwagen, eingelagerte Habseligkeiten oder Baumaterial. Der Lagerhallenkomplex liegt im Norden Erfurts zwischen einer Tankstelle und einem Baumarkt. Verwaltet wird er von einem Unternehmen, das deutschlandweit Lagerräume vermietet. „Solange man hier niemanden stört, kann man eigentlich alles machen“, erzählt ein Mieter vor Ort. Zwar sei die Lagerhalle primär zum  Einlagern da, aber einige „schrauben halt dann auch mal an ihren Autos rum.“ Von anderen Mieter*innen bekommt man hier wenig mit. Wer Anonymität sucht, findet sie hier. Konsens ist wohl : Was in anderen Garagen passiert, das bleibt dort auch.

Ruhestörungen, laute Musik und „Saufgelage“

Manche Vorkommnisse lösen dann aber doch mehr Aufmerksamkeit aus als einigen lieb ist. So blieb auch Ende Oktober diesen Jahres ein Polizeieinsatz nicht unbemerkt. Mieter*innen erzählen von alkoholisierten Männern, die bei Eintreffen der Polizei die Flucht ergriffen. Sie wollen allerdings nicht mit Namen genannt werden, denn die Mieter, denen der Einsatz galt, könnten gefährlich sein. Und sie sind unbeliebt. Weil sie für Ruhestörungen sorgen, laut Musik hören, grölen und „Saufgelage“ veranstalten würden. Aber auch weil sie Neonazis sind, die zu einer rechtsextremen Gruppierung mit dem Namen „Neue Stärke Partei“  gehören. 

Die Polizei bestätigte auf Anfrage den Polizeieinsatz. Grund sei eine „vermeintliche Auseinandersetzung“ gewesen. Nach einer Prüfung habe man aber keine strafrechtliche Relevanz feststellen können. Es habe sich lediglich um eine „private Feierlichkeit von sieben Männern gehandelt“, die Bekleidungsgegenstände mit dem Aufdruck „NSE“ (Neue Stärke Erfurt) getragen hätten.

Lagerhallen Neue Stärke Erfurt
In diesen Lagerhallen hat sich die "Neue Stärke" derzeit eingemietet. Der Vermieter hat bereits eine Räumungsklage eingereicht. Quelle: Noah Berendt

Die „Neue Stärke Partei“ hat sich vor einigen Wochen neu gegründet. Noch liegen demo.report keine Belege dafür vor, dass es sich im Sinne des deutschen Parteienrechts um eine Partei handelt, aber die Ambitionen, eine zu werden, bestehen. Auch Christoph Lammert von der Mobilen Beratung Thüringen (mobit) sieht in den Bemühungen den Versuch, eine neue Struktur zu etablieren: „Bisher ist die Gruppe weitgehend bedeutungslos, aber sie zählt für das Jahr 2021 zu den aktivsten Neonazi-Gruppierungen im Freistaat Thüringen.”

Hervorgegangen ist die selbsternannte Partei aus dem Umfeld bekannter Erfurter Neonazis, die ab Mitte 2020 als „Neue Stärke Erfurt“ auftraten und später einzelne Gruppenableger in Thüringen, Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen beim Aufbau unterstützen. Ideologisch und im Auftreten imitiert die Gruppierung die neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“. Laut eigenen Angaben habe man mittlerweile eine dreistellige Mitgliederanzahl erreicht. Einzelne Mitglieder haben bereits zuvor nahezu die gesamte neonazistische Parteienlandschaft durchlaufen, inklusive NPD, „Die Rechte“ oder „Der III. Weg“.

Zwischen Kinderschminken und Kampfsport

Der besagte Polizeieinsatz im Oktober und die Schilderungen andere Mieter*innen von den Aktivitäten der Neonazis decken sich auch mit Bildern, die die „Neuen Stärke“ in sozialen Netzwerken verbreitet. Ende Oktober lud die Gruppierung beispielsweise zum „Herbstfest“ für Familien in die Lagerhallen ein – inklusive Eierlauf, Kinderschminken und Basteln. Aber die Bilder lassen auch auf andere Aktivitäten schließen: Die Hallenwände sind mit eigenem Merchandise beklebt, Bierbänke stehen zwischen Fitnessgeräten und Boxsäcken.

Nach wie vor scheint sich die Gruppierung über körperliche Fitness, Kampfsport und Militanz zu identifizieren. Man rüstet sich scheinbar für die Wahrscheinlichkeit einer gewaltvollen Auseinandersetzung. Dies zeigte unter anderem der brutale Angriff einzelner Gruppenmitglieder im August 2020 am Herrenberg auf drei junge Männer aus Guinea. Die Staatsanwaltschaft Erfurt erhob Anklage gegen neun Männer und eine Frau wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Die Polizei gibt an, dass allein im letzten halben Jahr drei Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der „Neuen Stärke“ eingeleitet wurden.

Rechtsextreme Kontakte bis zum NSU

Einzelne Mitglieder sind bereits vorbestraft. So auch der Vorsitzende der neu gegründeten Partei „Neue Stärke Partei“  Michel Fischer, der aus der militanten Kameradschaftsszene stammt und Weihnachten 2009 zusammen mit den Rechtsterrorist:innen des National Sozialistischen Untergrunds (NSU) feierte und mehrmals Besuch von dem Trio erhielt. Auch einer der Stellvertreter, Enrico Biczysko, früher  „Die Rechte”-Landesvorsitzender, ist kein unbeschriebenes Blatt. Ein älteres Foto aus 2012 zeigt den Neonazi und ehemaligen Hooligan mit einem T-Shirt, auf dem „HooNaRa – Erfurt“ (Kurzform für Hooligans, Nazis und Rassisten) steht. In dieser Tradition scheint sich auch die neu gegründete Partei verorten zu wollen. Auch an den Wänden ihres ehemaligen Sitzes in der Stielerstraße 1 im Erfurter Süden steht „Neue Stärke Hooligans“. Dort mussten sie bereits ausziehen, nachdem sie im letzten Jahr eine Räumungsklage vor Gericht verloren hatten.

Die alte Immobilie in Erfurt, die von den Neonazis geräumt werden musste.
Die Immobilie in der Stielerstraße 1 musste die "Neue Stärke" aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung Ende 2020 verlassen. Quelle: Noah Berendt

Zweite Räumungsklage innerhalb kurzer Zeit

In die  neue Unterkunft zogen die Neonazis schon im Sommer diesen Jahres ein: 112 Quadratmeter in einem Lagerhallenkomplex im Erfurter Norden. Doch nach Recherchen von demo.report scheint sich nun dasselbe Spiel zu wiederholen. Weil sich die Gruppenmitglieder nicht an die AGBs des Vermieters hielten, löste dieser das Mietverhältnis auf. Allerdings zog der Mieter, der nach Informationen von demo.report die Lagerhallen als Privatperson angemietet hatte, nicht aus. Die Konsequenz: eine weitere Räumungsklage für die „Neue Stärke“.  

„Die Immobilien sind natürlich zentraler Bestandteil der Strategie der Gruppe und eine notwendige Infrastruktur für Veranstaltungen und Treffen sowie als Anlaufpunkt für potentielle Neumitglieder“, gibt Christoph Lammert zu bedenken, „der Verlust einer weiteren Immobilie dürfte also ein erneuter Einschnitt sein.“

Die „Neue Stärke Partei“ wollte zu den Geschehnissen auf Anfrage von demo.report keine Stellung beziehen. Gleichzeitig ruft sie für den 11. Dezember bereits zu einem „Aktionstag“ gleichnamiger Gruppierungen auf – auch in Erfurt. Die Nazis haben nun innerhalb kurzer Zeit eine weitere Immobilie verloren. Ihr Organisations- und Gewaltpotenzial ist dennoch nicht zu unterschätzen, meint Lammert: „Nichtsdestotrotz ist die ‚Neue Stärke‘ ein Sammelbecken für gewaltbereite Neonazis und stellt insofern lokal auch eine konkrete Gefahr dar.“

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