2018 griffen Neonazis in Nordthüringen zwei Journalisten brutal an. Dreieinhalb Jahre nach der Tat begann im September der Prozess gegen die Täter aus dem Dorf Fretterode im thüringischen Eichsfeld. Vor Gericht inszenieren sich die Täter als Opfer.


Michael Weiland
Journalist @demo.report

Lilian Rist
Journalistin @demo.report
Am 29. April 2018 vermuteten zwei Göttinger Journalisten ein Neonazi-Treffen auf dem Anwesen des NPD-Bundesvize Thorsten Heise in Fretterode, das sie fotografieren wollten. Dabei wurden sie von zwei Neonazis erst mit dem Auto verfolgt, bis diese sie von der Fahrbahn abdrängten und bewaffnet angriffen. Die beiden Verfolger sind Nordulf Heise, Sohn des NPD-Bundesvize, und Gianluca Bruno, der politische Ziehsohn von Thorsten Heise. Sie zerstören das Auto der Journalisten und verletzen sie schwer. Bruno fügt dem Fahrer mit einem Schraubenschlüssel einen Schädelbasisbruch zu, Heise sticht mit einem Messer nach dem Beifahrer, trifft dessen Oberschenkel und raubt die Kameraausrüstung. So schildern es die beiden Journalisten, von denen einer rechtzeitig die Speicherkarte aus der Kamera sichern konnte, auf der Bilder der Tat waren.
Das Netzwerk der Täter
Nach dem Angriff kommen trotz der Schwere der Tat weder Nordulf Heise, noch Gianluca Bruno in Untersuchungshaft. Heise, der bis dahin noch bei seinem Vater wohnte, setzte sich kurz darauf in die Schweiz ab und absolvierte eine Ausbildung in derselben Firma, in der auch ein Vertrauter von Thorsten Heise und Funktionär des verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“ arbeitet. Währenddessen beteiligt sich Heise weiterhin an Neonazi-Veranstaltungen, unter anderem als Ordner.
Der Northeimer Gianluca Bruno war bis 2018 stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen NPD und Vorsitzender der NPD Göttingen. Bruno begleitete Thorsten Heise zu diversen politischen Veranstaltungen, wo er auch auf den EU-Abgeordneten der NPD, Udo Voigt, traf. Im April diesen Jahres wurde er bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er sich 2016 am Neonazi-Angriff auf das als links geltende Leipziger Viertel Connewitz beteiligte.
Verschleppte juristische Aufarbeitung
Mehr als drei Jahre später müssen sich die beiden Angeklagten nun vor Gericht wegen schwerer Körperverletzung, Raub und Sachbeschädigung verantworten. Ein Sachverständigengutachten kommt zu dem Schluss, dass die konkreten Verletzungen leicht lebensbedrohlich hätten werden können. Es grenze an Glück, dass keiner der betroffenen Journalisten getötet wurde, so Nebenklageanwalt Kahlen Rasmus.
Die lange Verfahrensdauer von über drei Jahren begünstig nicht nur Erinnerungslücken bei Zeug:innen, die im Prozess aussagen müssen, sondern kann auch strafmildernd für die Angeklagten wirken. Zuletzt zeigte sich dies im ‚Ballstädt‘-Verfahren, in dem Neonazis, die eine Kirmesgesellschaft brutal angriffen, sieben Jahre nach der Tat zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden.
Jetzt sitzen die beiden Journalisten ihren Angreifern von damals im Gerichtssaal gegenüber. Im Prozess treten sie als Nebenkläger auf. Zum Tatzeitpunkt recherchierten beide bereits mehrere Jahre zur extremen Rechten. Einer der Journalisten stellte seine journalistische Arbeit in diesem Bereich nach der Tat ein. Der andere Journalist berichtet vor Gericht, er habe bis heute noch mit dem Angriff zu kämpfen, konspirative Neonazi-Treffen wolle er nach der Erfahrung nicht mehr dokumentieren.
Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht
Unterdessen widersprechen die beiden Angeklagten dem Tathergang wie ihn Zeug:innen und Anklage beschreiben. Nordulf Heise habe sich nur „erkundigen“ wollen, wozu die Fotos seien und das Auto verfolgt, um das Kennzeichen feststellen zu können. Bruno habe ihm nach eigenen Angaben dabei helfen wollen. Ein Treffen auf dem Heise-Anwesen an besagtem Tag hätte es nie gegeben. Sie seien Opfer einer „Provokation der Antifa“ geworden, die einen „Anschlag“ auf das Haus geplant haben solle.
Die Anwälte der Angeklagten bedienen in ihren Aussagen dasselbe Narrativ: Dass die beiden Fotografen journalistisch tätig waren und sind, wollen sie nicht anerkennen. Es ginge ihnen nicht darum, journalistisch zu arbeiten, sondern „auszuspähen“, erklärt Heises Verteidiger, Wolfram Nahrath. Gleichzeitig versucht die Verteidigung die Arbeit der Journalisten zu durchleuchten. Nahrath will von einem der Betroffenen wissen, welche konspirativen Neonazi-Treffen er schon recherchiert, mit welchen Kolleg:innen er dabei zusammengearbeitet habe und fragt nach deren Wohnort und Arbeitgeber.
Zuvor deutet unter anderem ein Anwohner aus Fretterode an, Thorsten Heise habe Einfluss auf ihn nehmen wollen. Der Zeuge sei gerade mit seinem Auto seiner Einfahrt gefahren, als ihn die Journalisten auf der Flucht vor Heise und Bruno mit ihrem Auto rammten. Heise sei noch am selben Tag mit seiner Frau zu ihm gekommen und hätte ihm nahegelegt, nur von dem Göttinger Auto zu erzählen und seinen Sohn sowie den Mitangeklagten nicht zu erwähnen.
Feindbild Presse
Die Presse gilt der (extrem) Rechten als Feindbild. Thorsten Heise befeuert dieses regelmäßig, indem er beispielsweise auf öffentlichen Veranstaltungen die Namen anwesender Pressevertreter:innen nannte und diese bedrohte. Zuletzt machte der Thüringer Neonazi Tommy Frenck Journalist:innen für die Brände in Thüringer Naziimmobilien verantwortlich.
Der Angriff zeigt, welcher Gefahr Journalist:innen ausgesetzt sind, die über die (extrem) Rechte berichten und deshalb in den Fokus der Szene geraten. Staatliche Stellen bieten Betroffenen dabei regelmäßig keine Sicherheit, sondern gefährden diese zuweilen noch. Über dreieinhalb Jahre gab es keine juristischen Konsequenzen für die Täter, stattdessen konnten sie unbehelligt in ihren Strukturen weiterarbeiten. Indes müssen Journalist:innen mit dem Wissen leben, dass es jederzeit wieder zu Angriffen kommen kann, sie sich eigenständig Schutz organisieren müssen, um ihre Arbeit ausüben zu können und die Täter schlussendlich womöglich mit glimpflichen Strafen davonkommen.